Wie können Unternehmen mit der Digitalisierung der Geschäftsprozesse Schritt halten und sich gleichzeitig auf die Klimaziele einstellen? Und wie können sie diesen Wandel strategisch und wertschöpfend für sich nutzen, um nachhaltig fit zu werden für die Zukunft? Wenn KMU und Start-ups, Forschende und Kreativschaffende voneinander lernen, entstehen neue und nachhaltige Lösungen. Vor allem Gamestechniken bieten hier wichtige neue Ansätze. Die Digitale Transformation kann so branchenübergreifend als Chance für nachhaltige Innovation
genutzt werden.
Viele Kreative und KMU haben sich diese Ziele längst zu Eigen gemacht: Gamesentwickler*innen, die Spiele zu Nachhaltigkeitsthemen herausbringen, XR-Expert*innen, die Gamesmechaniken für ressourcenschonende Produkte und neue Angebote einsetzen, Unternehmen, die Upcycling betreiben oder sich mit neuen Mobilitätslösungen befassen. Diese Ansätze wollen wir stärken und die Akteure miteinander verbinden.
Gamesmechaniken können dabei helfen, motivierende Verfahren und nutzerorientierte Produkte im Kontext der Nachhaltigkeit zu entwickeln. Gamesunternehmen und UX-Designer verfügen über besonderes Knowhow im Bereich Aktivierung, Motivation, Belohnung, Community-Thinking und nutzerzentriertem Design. Mit Hilfe ihrer Erfahrung und Herangehensweise können Gamesunternehmen kleine und mittständische Unternehmen unterstützen, nachhaltige Innovation in ihr Unternehmen zu bringen.
KMU und anderen Organisationen bietet sich die Chance, den mit der Digitalisierung und den mit den Klima- und Nachhaltigkeitszielen einhergehenden Changeprozess nicht als Bedrohung, sondern als Innovationsopportunität zu begreifen. Unternehmensorganisation und -entwicklung, Kundenverhältnis, Geschäftsmodell, Services, Produkte und Produktzyklen, Marketing, Dienstleistungen und Vertrieb bis hin zur Mitarbeitermotivation können überdacht und neu ausgerichtet werden.
Die Klimaziele, insbesondere die CO2 Reduktion, die Nutzung bezahlbarer und sauberer Energien und recyclingfähige Materialien erfordern ein tiefgreifendes Umdenken in Bezug auf die eigenen Unternehmensleistungen und Produktionsprozesse. Der Changeprozess gelingt dabei umso besser und erfolgreicher, wenn er als Ziel verstanden und angenommen wird und motivierend gestaltet wird.
Wenn wir über Innovation sprechen, ist viel von Künstlicher Intelligenz, Virtual Reality, Quantencomputing und anderen Techniken die Rede. Dies sind aber keine Ziele an sich, sondern technische Lösungen, die uns helfen können, unsere Ziele als Unternehmer, Nutzer oder Bürgerin in Wirtschaft und Gesellschaft zu erreichen.
Hierbei stellt sich die grundlegende Frage, welche Werte wir verfolgen wollen und wer im Fokus unserer Ziele steht: das Unternehmen – der sogenannten „Konsument“– die Umwelt – Werte wie Gerechtigkeit oder Chancengleichheit?
Für Rafael Laguna de la Vera, der die Bundesagentur für Sprunginnovation leitet, ist Fortschritt die Maximierung von Glück für die größtmögliche Zahl von Menschen, wobei diese Steigerung des Glücks der einen niemals auf Kosten der anderen gehen darf. (BRAND 1 Dez. 2020, S 68)
Nach Siegfried Behrendt, dem Leiter des Forschungs-Clusters Technologie und Innovation am Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung IZT muss neue Technologie Wohlstand und Gerechtigkeit für alle schaffen und fördern und das geht seiner Auffassung nach langfristig nur unter strikter Einhaltung dessen, was unser Planet verträgt. Da es sehr schwer falle, zu exnovieren, also frühere Innovationen wieder abzuschaffen, wenn sie zwar Komfort schaffen, aber zugleich die Lebensgrundlagen zerstören, sollten von vornherein bei einer Folgenabschätzung die Rückzugsszenarien mitgedacht werden – wenn sich das Neue als schädlich erweisen sollte.
Drei Strategien sollten bei daher Innovationen verfolgt werden:
Effizienzstrategie: Verbesserung von Geräten oder Prozessen, sodass sie bei gleicher oder besserer Leistung weniger Energie oder Ressourcen brauchen
Konsistenzstrategie: die Qualität eines Produktes oder eines industriellen Prozesses verändert sich grundlegend
Suffizienzstrategie: soziale Innovationen: Verzicht auf Verschwendung, Konsum, Lebensgewohnheiten ändern (Interview BRAND 1 Dez. 2020, S 68)
Prof. Dr. Maja Göpel, Politökonomin und Mitbegründerin Scientists4Future kritisiert die bisherige Konsum-und Wachstumsorientierung der Wirtschaft und fragt in ihrem Buch „Unsere Welt neu denken“, wie wir zu einer Lebensweise finden, die das Wohlergehen des Planeten mit dem der Menschheit versöhnt.
„Wir müssen uns fragen, was Sinn und Zweck einer Technologierevolution sein soll, anstatt die Digitalisierung der Digitalisierung wegen zu forcieren. …Wer braucht heute noch eine Innovation auf diesem Planeten, die nicht hilft, Nachhaltigkeit zu verbessern? Kein Mensch! Nur das, was Nachhaltigkeit unterstützt, sollte überhaupt noch eine Innovation genannt werden.“
Grundlegend in Frage stellt der Pariser Wissenschafts- und Techniksoziologe, Anthropologe und Philosoph Bruno Latour unser bisheriges „Weltbild“, das den Menschen als von der Natur und dem Planeten getrennt versteht, wo der Mensch sich der Ressourcen der Erde bedient, ihr aber nicht unterworfen ist: „Der Globus prägt bisher unser Verhältnis zur Erde. Ein astronomischer Körper unter vielen, aufgeteilt in Längen- und Breitengrade, gesehen von einer unmöglichen Perspektive von außerhalb und in Distanz zu uns, ist das Bild, das unser Verhältnis zu unserer Lebenswelt als ein distanziertes, mechanisches und vor allem beherrschbares, beschreibt.“ Doch dieses alte Weltbild hat ausgedient: Extremwetterlagen, forciertes Artensterben, Gletscherschmelze und Meeresspiegelanstieg. Diese Rückkoppelungen auf die Eingriffe des Menschen im Erdzeitalter Anthropozän zwingen zu einer Korrektur. Was wir derzeit erleben, sagt Latour, ist keine Krise – das bleibt. Was es brauche, sei deshalb keine Hoffnung, der Feind des Handelns, sondern Politik.
Die mit Bruno Latour gestaltete Ausstellung Critical Zones im ZKM Karlsruhe setzt bei diesem nötigen Perspektivwechsel an, und fordert auf, einzusehen, dass wir uns nicht auf dem Globus, sondern innerhalb der „Kritischen Zone“, eingebettet in deren vielfältige, dynamische Prozesse, befinden. Der Begriff „Critical Zone“ ist aus den Geowissenschaften übernommen und bezeichnet die biochemische, fragile und hoch reaktive Membran, nur wenige Kilometer dick, in der sich alles Leben entwickelt hat bzw. in der es die eigenen Bedingungen für sein Überleben geschaffen hat. Von Bruno Latour wird der Begriff ins Philosophische erweitert zu einem kritischen, teilnehmenden Verhältnis unserer selbst in unserer Lebenswelt, deren bedrohter Zustand in einer nun vom Menschen geprägten Erdgeschichte ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht hat.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Frage, welche Politik wir betreiben wollen, damit die Erde bewohnbar bleibt. Insbesondere Lynn Margulis’ Forschung und ihre Theorie des symbiotischen Planeten sind hierbei hochaktuelle Anhaltspunkte für ein neues Verständnis von nachhaltigem Leben.
Weitere Informationen zu Critical Zones: Barbara Kiolbassa vom ZKM stellte auf der Creatables Konferenz im Oktober 2020 diesen neuen Ansatz des symbiotischen Lebens in der Critical Zone unseres Planeten vor, der ein neuer Maßstab nachhaltigen Wirtschaftens sein könnte.